20.08.2024

Ausstellungen

In den Fängen des Bösen

Alfred Kubin Der Krieg, um 1918 Tusche auf Papier 30,2 × 34,5 cm ALBERTINA, Wien © Eberhard Spangenberg, München / Bildrecht, Wien 2024
In Alfred Kubins Zeichnung "Der Krieg", die um 1918 entstand, zermalmt ein riesiger Krieger ein Heer. ALBERTINA, Wien © Eberhard Spangenberg, München / Bildrecht, Wien 2024

Alfred Kubins Zeichnungen verstören und faszinieren gleichermaßen. Er nimmt die Betrachtenden mit in Welten, in denen das Böse, Beängstigende und Schauerliche herrschen. Eine Ausstellung in der Wiener Albertina Modern präsentiert frühe Arbeiten auf Papier aus dem 1800 Zeichnungen umfassenden Bestand.

Alfred Kubin (1877–1959) war ein Einzelgänger und Individualist. In seinen Arbeiten verarbeitete er seine seelischen Qualen und stellte Traumwelten mit beklemmender Atmosphäre dar. In seinen Zeichnungen erforscht er die Schattenseiten der menschlichen Psyche und setzt sich mit seinen Ängsten vor dem Weiblichen, der Sexualität, der Nacht und dem Gefühl, dem Schicksal ausgeliefert zu sein, auseinander. Mit fantastischen Wesen, grotesken Fratzen und bedrohlichen Szenen stellt er diese Ängste dar. Zugleich griff er auch die Untersuchungen von Sigmund Freud auf, der die geheimen Triebe und Ängste der menschlichen Seele aufdecken wollte. Ein Thema, das Kubin immer wieder in seinen Arbeiten beschäftigt, ist der Krieg. In der Arbeit „Der Krieg“, die um 1918 entstand, zerstampft ein riesenhafter Krieger mit hufförmigen Füßen ein Soldatenheer. Aber auch in weiteren Zeichnungen spielt über Jahre hinweg der Krieg immer wieder eine zentrale Rolle.

Alfred Kubin Jede Nacht besucht uns ein Traum, um 1902/03 Tusche auf Papier 26,3 × 23,5 cm ALBERTINA, Wien © Eberhard Spangenberg, München / Bildrecht, Wien 2024
Albtraumhafte Gestalten besiedeln Alfred Kubins Zeichnungen, wie hier im Werk "Jede Nacht besucht uns ein Traum", das um 1902/03 entstand.

Blick auf frühe Werke

In den rund 100 gezeigten Werken aus der Frühphase seines Schaffens zeigt sich Kubins Abkehr von der traditionellen Ikonografie und auch die Vielfalt seines zeichnerischen Œuvres. Fast schon prophetisch gelingt es dem Künstler die aufkommenden Spannungen des 20. Jahrhunderts aufzugreifen. Er haderte mit der fortschreitenden Verwissenschaftlichung, Technisierung und Bürokratisierung und hatte das Gefühl, ein Mensch zu sein, der der Vergangenheit angehörte. Auch die Auflösung des Individuums in der Masse, dass seinen Platz in der modernen Welt nicht findet, war ein Thema, das ihn immer wieder beschäftigte. Zugleich schuf er aber auch Werke, die heute noch relevant sind. Kriege, Gefangene, Folter und Verfolgung sowie Seuchen und Pandemien sind auch heute (wieder) Teil der Weltlage und der Nachrichten.

 

Alfred Kubin Seuche, 1902 Tusche auf Papier 25,2 × 32,5 cm ALBERTINA, Wien © Eberhard Spangenberg, München / Bildrecht, Wien 2024
Seuchen und Pandemien spielten damals wie heute ein Rolle und bedrohten das Leben, wie hier in: "Seuche" von 1902.

Krieg und Tod

Alfred Kubin durchlebte eine Jugend, die von Schicksalsschlägen geprägt war. Seine Mutter Johanna starb früh. Sie war der erste Mensch, den er sterben sah und einer der ihm am nächsten stehenden, von dem er sich in jungen Jahren verabschieden musste. Zudem beobachtete er, durchaus mit Neugier, wie die Fischer in Zell am See, wo er aufwuchs, regelmäßig Leichen aus dem Wasser bargen. Diese Eindrücke und auch seine versuchte Selbsttötung im Alter von knapp 20 Jahren am Grab seiner Mutter verarbeitet er in seinen Kunstwerken.
Zu seinen Vorbildern gehörten der deutsche Maler und Bildhauer Max Klinger (1857–1920) und auch der spanische Maler Francisco da Goya (1746–1828). Während Klinger ihm Anregungen für seine fantastischen Weltengebilde bietet, dienen ihm Goyas Darstellungen von Brutalität und Direktheit aus dem Grafikzyklus „Die Schrecken des Krieges“ als Vorbild für seine in Zeichnungen dargestellten Grausamkeiten. Während bei Goya die Soldaten an ihren Opfern Grausamkeiten begehen, sind es jedoch bei Kubin Frauen und Männer des Alltags. Neben diesen genannten Künstlern dienten ihm auch noch weitere als Inspiration.

 

Alfred Kubin Traurigkeit, nach 1900 Tusche auf Papier 20,5 × 34,6 cm ALBERTINA, Wien © Eberhard Spangenberg, München / Bildrecht, Wien 2024
Alfred Kubik musste bereits in jungen Jahren viele Schicksaslschläge durchleben, diese Erfahrungen dienten auch als Inspiration wie hier die "Traurigkeit", die nach 1900 entstand.

Ins Netz gegangen

Ebenfalls eine zentrale Rolle nimmt das Weibliche im Werk Kubins ein. Alfred Kubin zeigt sowohl misogyne Züge als auch panische Angst vor Frauen. Die Frau erscheint in seinem Werk als Mutter, jedoch ohne mütterliche Züge zu zeigen, aber auch als Femme fatal, der die Männer oftmals als Opfer ausgeliefert sind. Diese zumeist negativen Darstellungen der Frau, in denen sie den Mann verschlingt, entspricht dem Zeitgeist des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Künstler stellten Frauen im Fin des Siècle gleichzeitig als Unschuld sowie als Verführung dar, sie konnten Engel oder Vamp sein. Neben der bildenden Kunst spricht auch die Literatur eine Warnung an die Männer aus: Nehmt euch in Acht vor der Frau und ihrer Sexualität – letztendlich kann man diese Warnung als Angst vor der beginnenden Emanzipation der Frauen verstehen. Zugleich gibt es aber auch Arbeiten, in denen Kubin den Mann als Dompteur oder Zuhälter der Frauen auftreten lässt, sie so im Griff hat. Doch die Zeichnungen, in denen die Frau den Mann jagt, verführt und in ihr Netz lockt überwiegen sein Werk. Seine Vorbilder für diese Darstellungen fanden er bei den Künstlern des Symbolismus wie Félicien Rops (1833–1898), Gustave Moreau (1826–1898), Fernand Khnopff (1858–1921) und Franz von Stuck (1863–1928).

Alfred Kubin Das Ei, ca. 1901/02 Tusche auf Papier 15,8 × 23,8 cm ALBERTINA, Wien © Eberhard Spangenberg, München / Bildrecht, Wien 2024
Immer wieder eine Rolle in Kubins Werk spielte das Weibliche. Ob wie hier als nicht-mütterlich wirkende Mutterfigur in "Das Ei"...
Alfred Kubin Die Spinne, um 1901/02 Tusche auf Papier 18,9 × 24,6 cm ALBERTINA, Wien © Eberhard Spangenberg, München / Bildrecht, Wien 2024
... oder als bedrohliche Femme fatale, die Männer in ihr (Spinnen-)Netz lockt wie in "Die Spinne".

Geprägt von inneren Konflikten

Mit seinen düsteren Werken nimmt er die Betrachtenden gefangen, auch wenn sich manche Schrecken in den Zeichnungen erst auf den zweiten Blick, bei genauerem Hinsehen offenbaren. Doch dann führen sie den Betrachtenden die eigene Menschlichkeit vor Augen und erschüttern ihn. Es sind oftmals Bilder, die einen nicht loslassen und die Unausweichlichkeit des Todes vor Augen führen. So sehr seine Ängste ihn auch gequält haben mögen, so waren sie doch für sein Werk entscheidend, dienten sie doch als unerschöpflicher Quell der Inspiration. Berichten zufolge sagte sein Pfarrer am Ende von Alfred Kubins Leben: „Ohne seine Ängste würde er seiner Existenz beraubt werden.“ Kubins Kunst entfaltet sich in der Wechselwirkung zwischen persönlichem Ausdruck und zeitgenössischer Analyse. Sie stellt ein eindrucksvolles Zeugnis der inneren Konflikte und Ängste des Menschen dar, die sowohl individuell als auch allgemein gültig sind. Seine Werke enthüllen die Qualen, die er durchlebte, und zeigen eine Welt, in der der Mensch sich selbst und seine Umwelt mit einer Mischung aus Schrecken und Faszination betrachtet, dies macht die Ausstellung deutlich.


Information

Die Ausstellung Alfred Kubin. Die Ästhetik des Bösen ist seit dem 14. August 2024 bis zum 12. Januar 2025 in der ALBERTINA Modern in Wien zu sehen. Sie wurde von Elisabeth Dutz und Laura Luzianovich kuratiert. Zur Ausstellung ist ein Katalog in deutscher und englischer Sprache erschienen.

 

Bilder: ALBERTINA, Wien © Eberhard Spangenberg, München / Bildrecht, Wien 2024

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