15.10.2024

Ausstellungen Museum

Gauguin unexpected im Kunstforum Wien

Eine Ausstellung in Wien vereint Werke von Paul Gauguin aus verschieden Schaffensphasen. Paul Gauguin: Heugarben in der Bretagne, 1890. © National Gallery of Art, Washington Geschenk der W. Averell Harriman Foundation zum Gedenken an Marie N. Harriman

Gauguin unexpected — 3.10.-19.1.25 im Kunstforum Wien: Eine Ambivalenz zwischen Genialität und kolonialer Realität

Das Bank Austria Kunstforum Wien zeigt derzeit bis Januar 2025 eine umfassende Retrospektive zu Paul Gauguin – eine Ausstellung, die seit den 1960er Jahren erstmals wieder in Österreich zu sehen ist. Unter dem Titel „Gauguin – unexpected“ wird das vielseitige Schaffen eines der einflussreichsten Künstler der Moderne präsentiert. Die Schau umfasst über 80 Werke, darunter Gemälde, Druckgrafiken, Holzschnitte und Skulpturen, und begleitet Gauguin von seinen frühen postimpressionistischen Anfängen bis zu seinem bedeutenden Einfluss auf die Moderne.

Überraschend ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass die Ausstellung überhaupt noch realisiert wurde. Die Planungen dafür begannen bereits in den Jahren vor der Pandemie und mussten mehrfach verschoben werden. Der Ukrainekrieg erschwerte zudem die Beschaffung relevanter Leihgaben, insbesondere aus der Eremitage in St. Petersburg. In der heutigen internationalen Kunstlandschaft nehmen viele Museen zunehmend Abstand davon, Gauguin mit großangelegten Einzelausstellungen zu zeigen, da seine Jahre in den französischen Südseekolonien und sein umstrittener Lebensstil nicht mehr komplett kontextlos gezeigt werden können. Diese Aspekte harmonieren nur schwer mit den kritischen Perspektiven, die der postkoloniale Diskurs in die Kunstwelt einbringt.

Paul Gauguins Bedeutung für die Kunstgeschichte ist jedoch unbestritten. Seine innovative Verwendung von Farbe, Form und Symbolik ebnete den Weg für Strömungen wie den Fauvismus und Expressionismus. Doch seine Werke sind weit mehr als nur ästhetische Meisterleistungen. Sie reflektieren auch eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit den Gesellschaften, die er bereiste, und den inneren Konflikten, die sein künstlerisches Schaffen prägten. Besonders seine Reisen nach Tahiti und auf die Marquesas-Inseln inspirierten ihn zu seinen wohl bekanntesten Werken -farbenprächtige und faszinierende Szenen, die gleichzeitig von einer romantisierten und problematischen Darstellung der „fremden“ Kulturen zeugen.

 

Paul Gauguin ist vor allem für seine Darstellungen aus den französischen Südseekolonien bekannt. Paul Gauguin: Wiese auf Martinique, 1887. © Arche Noah Museum – Sammlung Kunst & Kultur, Hohenems/Foto: Clemens Rhomberg

Kritische Perspektiven – Eine verpasste Chance?

Doch während die Ausstellung Gauguins visuelle Brillanz in den Vordergrund stellt, bleiben kritische Aspekte seiner problematischen Beziehung zu den kolonialen Gegebenheiten und seinem umstrittenen Lebensstil weitgehend im Hintergrund. Gauguins Zeit in den französischen Südseekolonien wird in der Ausstellung nur am Rande thematisiert, obwohl sie einen zentralen Teil seiner späteren Werke und seiner persönlichen Mythologie darstellt. Dies wirft die Frage auf, ob die Ausstellung den historischen und sozialen Kontext des Künstlers hinreichend beleuchtet. Ein umfassender historischer Überblick über das Kolonialsystem bleibt aus, die tatsächliche Auseinandersetzung mit diesem Thema wurde ins Begleitprogramm verlagert.

Gauguin, französischer Künstler des späten 19. Jahrhunderts, begann seine Karriere als Börsenmakler in Paris, bevor er sich der Kunst zuwandte. Seine frühe Schaffensphase war stark vom Impressionismus geprägt, doch mit der Zeit entwickelte er eine einzigartige Bildsprache, die sich durch kräftige Farben und stark abstrahierte Formen auszeichnete. Besonders seine Reisen nach Tahiti und die Marquesas-Inseln inspirierten Gauguin zu seinen wohl bekanntesten Werken – farbenprächtige und außergewöhnliche Bilder von „fremden“ Frauen und Landschaften, die aus heutiger Sicht von einer stark problematischen kolonialen Perspektive geprägt sind.


Das "Unerwartete" bleibt subtil

Die Ausstellung „Gauguin – unexpected“ hebt weniger bekannte Facetten seines Schaffens hervor, darunter Holzschnitte und Skulpturen, die oft als Vorarbeiten zu seinen Gemälden dienten. Diese Werke eröffnen neue Einblicke in Gauguins Schaffensprozess und rücken Aspekte in den Fokus, die in den üblichen Retrospektiven oft vernachlässigt werden. Doch trotz dieser spannenden Ergänzungen bleibt das „Unerwartete“ in der Ausstellung eher subtil, da viele der kontroversen Aspekte seines Lebens und Werks kaum thematisiert werden. Hier hätte man mehr Mut zeigen können, um eine tiefere, kritischere Auseinandersetzung mit Gauguins Verbindung zur kolonialen Realität zu wagen.

Die kritische Auseinandersetzung mit dem Werk Gauguins findet in erster Linie im Begleitprogramm statt. Paul Gauguin: Der Samen der Areoi, 1892. © The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florenz

Ambivalenz und Widersprüche

Die Entscheidung der Kuratorinnen, Evelyn Benesch und Ingried Brugger, Gauguins umstrittenes Erbe nicht in den Mittelpunkt zu stellen, mag auf den ersten Blick enttäuschend erscheinen. Aus künstlerischer Perspektive bietet die Ausstellung eine beeindruckende Zusammenstellung seiner Werke, die den tiefgreifenden Einfluss des Künstlers auf die Moderne verdeutlichen. Seine kraftvollen Farbflächen und reduzierten Formen beeinflussten Generationen von Künstler*innen und ebneten den Weg für spätere Strömungen wie die Abstraktion und den Expressionismus.

Auch wenn die Ausstellung Gauguins problematische Beziehungen und persönlichen Verfehlungen eher dezent behandelt, bleibt der Wert seiner künstlerischen Innovationen für den Betrachtenden sichtbar. Die Retrospektive präsentiert einen umfassenden Überblick über sein Gesamtwerk und zeigt die Entwicklung seines künstlerischen Ausdrucks, der von den düsteren Landschaften seiner frühen Jahre bis zu den farbenfrohen, beinahe surrealen Szenen der Südsee reicht. Besonders seine Werke aus Tahiti, die in satten Farben das Leben und die Landschaft der Inseln darstellen, gehören zu den Höhepunkten der Ausstellung. Doch eben diese Werke werfen auch die drängendsten Fragen erneut auf: Wie geht man heute mit einem Künstler um, der so tief in die kolonialen Strukturen seiner Zeit verwickelt war?

Letztlich bleibt Gauguin eine zwiespältige Figur – einerseits ein Pionier der modernen Kunst, andererseits tief verwoben in die paternalistische Romantik der Kolonialzeit. Die Ausstellung im Kunstforum Wien lädt dazu ein, diese Widersprüche selbst zu erkunden und Gauguins Werke in einer neu angeordneten Darstellungsweise betrachten zu können.

Die Ausstellung ist noch bis 19.1.2025 im Kunstforum Wien zu sehen.

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